Über das Trauma hinauswachsen: Anitas Geschichte

Auf den staubigen Wegen des Flüchtlingslagers Nakivale in Uganda springt die 25-jährige Anita mit ihren Kindern Seil, ihr Gesicht strahlt vor Freude. Es ist eine einfache Handlung, aber eine, die eine tiefgreifende Veränderung in ihr symbolisiert. Während ihre Kinder, sechs und drei Jahre alt, die Enden des Seils halten, springt Anita mit der Unbeschwertheit einer Person, die ihre Kindheit zurückgewinnt.
Für Anita ist dieser Moment mehr als nur ein Spiel – er bedeutet Erlösung. Als Flüchtling wuchs Anita in einer Kindheit ohne Freude auf. Als sie sieben Jahre alt war, mussten sie und ihre Familie aus ihrer Heimat Burundi fliehen. In Nakivale musste sie mit überfüllten Unterkünften, der Krankheit und dem Tod ihres Vaters und der erdrückenden Verantwortung für acht Geschwister fertig werden, anstatt zur Schule zu gehen. Spielen kam ihr wie Zeitverschwendung vor; Überleben war alles, was sie kannte. Der Stress machte sie wütend und isoliert, sie konnte nicht einmal zu ihren eigenen Kindern eine Beziehung aufbauen. „Ich war mein ganzes Leben lang nie glücklich“, sagt sie.
Doch heute, wenn sie mit ihrer Tochter und ihrem Sohn lacht, schreibt Anita ihre Geschichte neu. In ihren Augen spiegeln sich sowohl der Schmerz ihrer Vergangenheit als auch die Hoffnung für ihre Gegenwart wider. Der Wandel begann, als sie am Programm „Play To Grow“ von Right To Play teilnahm, das ihr die heilende Kraft des Spielens zeigte – nicht nur für ihre Kinder, sondern auch für sich selbst.
EINE VERLORENE KINDHEIT
Anitas Familie musste während des zerstörerischen Bürgerkriegs in ihrem Heimatland Burundi fliehen. Der Umzug nach Nakivale war für die siebenjährige Anita sehr schwer.
Nakivale ist eine der ältesten und größten Flüchtlingssiedlungen Afrikas und erstreckt sich über 185 Quadratkilometer trockene Ebene im Südwesten Ugandas. Sie wurde 1958 gegründet und beherbergt Flüchtlinge aus Burundi, der Demokratischen Republik Kongo, Ruanda und anderen Konfliktgebieten. Nakivale ist eine integrierte Siedlung, in der Flüchtlinge zusammen mit ugandischen Staatsangehörigen leben, kleine Grundstücke bewirtschaften oder Geschäfte betreiben. Dennoch ist das Leben hart: Die Ressourcen sind knapp, Dürren sind häufig und die Traumata der Kriegsflüchtlinge sind noch immer präsent.

„Als wir Burundi verliessen und hierherkamen, steckten sie uns in ein Zelt, in dem sie Flüchtlinge aufnehmen“, erinnert sich Anita. „Mit so vielen anderen Menschen in diesem Zelt zu leben, war schwer, weil wir es gewohnt waren, in unseren eigenen Häusern zu wohnen.“
Die Situation verschlimmerte sich, als Anitas Vater krank wurde. „Nach dem Tod meines Vaters war es nicht leicht. Er war lange Zeit krank“, sagt sie mit leiser Stimme. „Wir haben alles verkauft, was wir hatten, um meinen Vater zu versorgen, aber er starb schliesslich und wir waren noch ärmer als zuvor.“
Als ältestes von neun Kindern endete Anitas Kindheit abrupt, als sie die Schule abbrechen musste, um ihre Familie zu unterstützen. Sie verbrachte ihre Tage mit Gelegenheitsjobs und grub in den Gärten anderer Leute, um Geld für ihre Familie zu verdienen. Während andere Kinder spielten, arbeitete Anita. „Ich ging mit meiner Mutter zur Arbeit. Sie ging in die eine Richtung und ich in die andere, um etwas zu essen zu suchen“, erklärt sie. „Das hat mir sehr wehgetan, als ich aufwuchs, weil ich nie die Chance hatte, zur Schule zu gehen.“
DER KREISLAUF SETZT SICH FORT
Das Fehlen von Spiel und Zuneigung in Anitas Kindheit prägte ihre Einstellung zur Elternschaft. Als sie selbst drei Kinder hatte, fiel es ihr schwer, eine emotionale Bindung zu ihnen aufzubauen.
„Weil ich nie spielen durfte, hielt ich Spielen für Zeitverschwendung“, gibt sie zu. „Ich dachte, Kinder bräuchten nur Essen, dann ginge es ihnen gut. Als Kind hat niemand mit mir gespielt oder mit mir gesprochen, deshalb dachte ich, Kinder bräuchten nicht viel Aufmerksamkeit.“
Anitas Unfähigkeit, Beziehungen aufzubauen, beschränkte sich nicht nur auf ihre Familie. „Aufgrund meiner Kindheit hatte ich Angst, wenn ich versuchte, Menschen näherzukommen. Ich wusste nicht, wie ich mit ihnen umgehen sollte“, erklärt sie. „Ich wusste nicht, wie man scherzt. Wenn mich jemand berührte, schlug ich zurück. Ich zog mich zurück und wollte niemanden in meiner Nähe haben, weil ich das nicht gewohnt war.“

Trauma durch Spielen überwinden
Alles änderte sich, als Anitas Sohn einen Zettel aus der Schule mitbrachte, auf dem die Eltern gebeten wurden, an einem neuen Schulungsprogramm teilzunehmen. Anita zögerte, entschied sich aber doch, hinzugehen.
Die Schulung war Teil des Programms „Play To Grow“ von Right To Play, das von der LEGO Foundation finanziert wird. Das Programm wurde an die Lebensumstände von Flüchtlingen in Distrikten wie Isingiro und Adjumani angepasst und vermittelt Eltern von Kindern im Alter von drei bis sechs Jahren Strategien zur Förderung der frühkindlichen Entwicklung, der Lese- und Schreibfähigkeit sowie des Rechenvermögens durch aufmerksame Erziehung und spielerisches Lernen.
„Als wir dort ankamen, erklärten sie uns, wie wichtig es ist, mit unseren Kindern zu spielen und ihnen Freiraum zu lassen, aber das fiel mir nicht leicht, weil ich es für einen Witz hielt, mit Kindern zu spielen, wenn ich Arbeit zu erledigen habe”, erinnert sich Anita. Aber sie beschloss, es zu versuchen.
Das Programm „Play To Grow“ baut auf einer erfolgreichen Pilotinitiative auf, die in sieben Flüchtlings- und Stadtgemeinden in Uganda und Tansania durchgeführt wurde und bemerkenswerte Ergebnisse erzielte: 87 % der Betreuungspersonen gaben an, eine positive Einstellung zu responsiver Erziehung und Spiel zu haben, während 82 % wöchentlich sechs oder mehr spielerische Aktivitäten mit ihren Kindern unternahmen. Am bedeutendsten ist vielleicht, dass 66 % der Eltern keine harten Strafen mehr anwendeten – eine entscheidende Veränderung in Gemeinden, in denen der Stress hoch ist.
Als Anita die Sitzungen weiter besuchte, bemerkte sie allmählich Veränderungen bei sich selbst und ihrer Familie. „Das Programm Play To Grow hat mir sehr geholfen, denn nachdem ich davon erfahren hatte, hat sich in meinem Leben und in meinem Zuhause viel verändert“, sagt sie.
„Das Programm hat uns sehr verändert. Meine Kinder sind jetzt ungezwungen mit mir, sie wachen auf und begrüßen mich. Sie sagen ‚Guten Morgen, Mama‘. Das haben sie früher nie gemacht.“ – Anita
SPIELEN LERNEN, LEBEN LERNEN
Die Elternbildnerinnen und -bildner des Programms „Play To Grow” brachten Anita nicht nur bei, wie sie mit ihren Kindern spielen kann, sondern auch, wie sie eine emotionale Bindung zu ihnen aufbauen und ein förderliches Umfeld schaffen kann.
Für Anita, die selbst nie die Freude am Spielen erlebt hatte, waren diese Lektionen lebensverändernd. „Meine Kinder sind jetzt ungezwungen mit mir, sie wachen auf und begrüssen mich. Sie sagen: ‚Guten Morgen, Mama‘“, erzählt sie mit einem Lächeln.
Das Programm half Anita auch, die Bedeutung von Bildung zu verstehen, die ihr selbst vorenthalten geblieben war. „Das Schlimmste war, dass ich lange gebraucht habe, um zu erkennen, wie wichtig die Schule ist, dass meine Kinder Lehrer oder Ärzte werden können“, reflektiert sie.
Jetzt bereitet sie ihre Kinder sorgfältig auf die Schule vor und sorgt dafür, dass sie ihre Bücher und alles andere haben, was sie brauchen.
Durch „Play To Grow“ hat Anita die Kraft des Spielens nicht nur für ihre Kinder, sondern auch für sich selbst entdeckt. „Früher dachte ich, das Einzige, was im Leben zählt, ist Arbeit. Aber das Spielen hat mir eine neue Perspektive und Freude in mein Leben gebracht.“
„Heute nehme ich mir Zeit für meine Kinder, auch wenn ich Arbeit habe. Ich schaffe Platz für sie, damit sie spielen und Spass haben können“, sagt Anita.
Das Programm „Play To Grow“, das von Right To Play mit finanzieller Unterstützung der LEGO Foundation umgesetzt wird, ermöglicht es Flüchtlingseltern in Uganda, die frühkindliche Entwicklung durch spielerisches Lernen zu fördern.


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